Im Zeitalter Neuer Medien werden traditionelle Textsorten und Kommunikationsformen durch neue Texttypen verdrängt oder an neue Bedingungen und Bedürfnisse angepasst. Daher steht der Textsortenwandel im Blickpunkt zahlreicher Untersuchungen. Dieser Beitrag soll sich einer in der linguistischen Forschung noch wenig beachteten Textsorte, dem Gästebuch, zuwenden. Traditionelle Gästebücher (im Weiteren GB), denen man immer noch in Museen, Kunstgalerien, bei manchen Freunden und Bekannten begegnen kann, wirken heute überholt und altmodisch. Wirft man aber einen Blick in das Medium des 21. Jh., das Internet, so kann man sofort feststellen, dass diese alte, bereits im 16. Jh. aufgekommene Textsorte heute ihre Wiederbelebung erlebt: Fast jede private oder öffentliche Homepage verfügt über ein elektronisches Gästebuch. Verschiedene Vereine, Unternehmen, Museen, Behörden, Hotels usw. fordern ihre virtuellen Besucher zum Eintrag in das elektronische GB auf.
Obwohl elektronische GB schon lange ihren festen Platz im Internet haben und zu den beliebtesten Kommunikationsformen dieses Mediums zählen (nach Diekmannshenke 2006, 253), sind in der Fachliteratur nur einige wenige Beiträge vorhanden, die sich dem GB als Textsorte widmen und seinen strukturell-funktionalen Wandel behandeln.1 Wenig beachtet bleibt der soziokulturelle Hintergrund, der die Textproduktion und -rezeption entscheidend prägt und daher genauer betrachtet werden sollte. Außerdem liegen noch keine interlingualen Untersuchungen dieser Textsorte vor.
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, das GB anhand deutscher und litauischer Belege kontrastiv zu analysieren und somit zum interlingualen Vergleich dieser Textsorte beizutragen. Es soll untersucht werden, welchen Konventionen und Erwartungshaltungen diese Textsorte im jeweiligen Sprachraum folgt, worin ihre strukturellen, funktionalen und sprachlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen.
Für die Analyse werden nur öffentliche, in elektronischer Form vorliegende GB herangezogen. Da beim Vergleich thematisch weit entfernter GB aufgrund ihrer Ausrichtung auf unterschiedliche Zielgruppen oder Themenschwerpunkte allzu große, schwer verallgemeinerbare Variationsunterschiede entstehen können, werden hier nur Theatergästebücher berücksichtigt. Sie repräsentieren ein ähnliches Themenspektrum und erleichtern somit die Vergleichbarkeit.
Das Belegkorpus umfasst jeweils 200 Einträge, die nach dem Zufallsprinzip aus drei deutschen und drei litauischen Theatergästebüchern ausgewählt wurden.