Zur semantischen Vielfalt von Präsens im Gegenwartsdeutschen und im Mittelhochdeutschen
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Aleksej Burov
Published 2009-01-01
https://doi.org/10.15388/Klbt.2009.7620
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Burov, A. (2009) “Zur semantischen Vielfalt von Präsens im Gegenwartsdeutschen und im Mittelhochdeutschen”, Kalbotyra, 60, pp. 7–13. doi:10.15388/Klbt.2009.7620.

Abstract

Laut Duden entfallen in der geschriebenen Sprache rund 52% aller vorkommenden finiten Verben auf Präsens (Duden 1998, 145). Aus diesem Grunde wird es neben dem Präteritum als Haupttempus des Deutschen bezeichnet. Im Unterschied zu den anderen Tempora wurde seine Existenz in der Sprache als ein selbständiges Tempus bislang nur von Mugler (1988) in Frage gestellt. Andererseits ist das Präsens wie keine andere Tempusform der deutschen Sprache in so vielen Kontexten möglich. Diese Tatsache hat zur Folge, dass die Bestimmung der Präsens-Semantik in sprachwissenschaftlichen Arbeiten ziemlich uneinheitlich ist. Wunderlich listet sechzehn Verwendungsweisen von Präsens, Curme unterscheidet neun Varianten, Jørgensen acht, Jung und Schulz/Griesbach geben je sieben Gebrauchsmöglichkeiten des Präsens an (Curme 1977, 12; Wunderlich 1970, 114; Jørgensen 1966, 48; Jung 1984, 231; Schulz/Griesbach 1986, 44). Die Grammatiken wie Duden (1998) und Helbig/Buscha (2005) gehen lediglich von 4 Varianten aus. Darüber hinaus vertritt Engel die Position, dass sich das Präsens im Deutschen „höchstens negativ“ definieren lässt (Engel 1996, 495). Auch die Verfasser der IdS-Grammatik weisen darauf hin, dass das Präsens die zeitliche Festlegung semantisch offen lässt (IdS-Grammatik 1997, 1692). Abgesehen vom Fehlen der Einheit bei der Festlegung der Bedeutungsvarianten des Gegenwartstempus lässt sich behaupten, dass das moderne Präsens die Ereignisse, die im Hinblick auf die Sprechzeit sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft stattfinden, zum Ausdruck bringt. Diese Fähigkeit wurde laut Paul von den früheren Entwicklungsstufen des Deutschen geerbt (Paul 1989, 287). Die Frage, ob durch die Herausbildung der neuen analytischen Tempora im Mittelhochdeutschen (Perfekt, Plusquamperfekt und Futur), die Bedeutungsvielfalt des Gegenwartspräsens eingebüßt hat, bleibt aber bis heute offen. Um diese Frage zu beantworten, wird die diachrone Entwicklungslinie der semantischen Vielfalt von Präsens skizziert, indem die gegenwärtigen Bedeutungsmöglichkeiten des Präsens mit denen des Mittelhochdeutschen verglichen werden. Als Ausgangspunkt des Vergleiches wird das Mittelhochdeutsche dienen. Bei der graphischen Darstellung des Tempus stütze ich mich auf die Tempusformel von Reichenbach (1947). Dabei steht das S für den Sprechmoment (engl. „point of speech“), das E für das Ereignis (engl. „point of event“) und das R für den Bezugspunkt (engl. „point of reference“).
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